Ein Sieb aus Metall

Bericht aus der 2. Ausbildungswoche zur Erzählerin

 

Ziemlich selten sind wir hinunter gegangen an diesen traumhaften Steg am Starnberger See ...

Wir, das sind die Teilnehmer der Ausbildung "freies Erzählen" der Goldmund Erzählakademie.

Wir, das ist eine bunte Gruppe aus Erzähler und Erzählerinnen, die es es wissen wollen: wie Geschichten lebendig werden, wie freies Erzählen zum Kunstwerk wird.

Also hörten wir bei bestem Wetter, weit oben im Dachzimmer des Hauses Buchenried, dem Kursleiter Norbert Kober zu. Oder wir erzählten uns gegenseitig unsere Geschichten, die gerade am Entstehen waren. Und den See dort unten? Es war wunderbar, zwischendurch ein kurzes Bad zu nehmen. Und in einer Nacht saßen wir dort ums Feuer herum.

 

Doch nun komme ich zu dem Sieb aus Metall:

 

 

Norbert stellte uns ganz zu Beginn eine Aufgabe: Wir sollten die mitgebrachten Geschichten durch drei Siebe schütten und prüfen, ob sie 'durchpassen'.
Zum ersten, größten Sieb erklärte er: "Es ist ein grobes Sieb aus Metall -  ein ziemlich einfaches, kühles, nüchternes - und recht nützliches Ding - ihr könnt es euch ungefähr wie eines der alten üblichen Nudelsiebe vorstellen."

 

So eröffnete uns Norbert des Siebes Beschaffenheit - und dessen Charakter!

 

Das Sieb hat einen Namen. Es heißt "Anschlussfähigkeit". Das soll soviel bedeuten, als dass der Zuhörer etwas mit der Geschichte anfangen kann, die er hört. Dafür sollte die erzählte Geschichte in sich logisch sein und im besten Fall soll sie gefallen, überraschen, unterhalten, bereichern, spannend sein! Und wir sollten uns die Frage stellen: Passt die Geschichte zu dem Publikum, dem wir sie erzählen möchten?

Wie eine Geschichte gebaut sein könnte, um diese Forderung zu erfüllen, das war in groben Zügen der Inhalt der ersten Ausbildungswoche. 

 

Also fanden wir uns in Kleingruppen zusammen, erzählten uns gegenseitig unsere mitgebrachten Geschichten, und prüften die Anschlussfähigkeit. Wir  berieten uns, hörten uns zu - wir diskutierten, sinnierten, lachten, dachten und lernten uns dabei kennen. Schön!

 

Meine Geschichten passierten dabei das erste Sieb ohne irgendwelches Zaudern.

Na ja, um ehrlich zu sein: zwei meiner Geschichten ... 

Und um ganz genau zu sein:

Die dritte Geschichte, wollte ganz und gar nicht durch das nüchterne, kühle Sieb hindurch passen!

Und das war genau diejenige, selbstentworfene Geschichte, die mir selbst so viel bedeutete ...

 

Ich fragte mich, wie ich es schaffen könnte, diese Geschichte so zu erzählen, dass sie 'ankommt'.

Und wenn ich sie ändere? Wie kann ich wissen, ob das so besser ist? In der großen Gruppe - dem Plenum - fragte ich: "Stimmt es, dass es unmöglich ist, die Anschlussfähigkeit alleine zu prüfen? Brauche ich in jedem Fall andere, die das beurteilen?"

 

'Am Besten sucht man sich immer wieder frische Ohren', war der Tipp, der schließlich bei mir hängen blieb ... und das war schlussendlich eines meiner größten Gewinne aus dieser Woche: Die Erkenntnis, dass ich zwar Vieles alleine bewerkstelligen kann - aber den frischen Blick auf das Eigene? Den haben nur die Anderen! Und manches, was man alleine kreiert, kann man nur in Gemeinschaft zu Ende bringen ... 

 

Was hatten die anderen bei der Besprechung in der Kleingruppe gesagt?  'Was ist das Wichtigste für dich? Baue die Spannung auf! Baue das aus, was dir selbst selbstverständlich ist und werde an anderen Stellen schlanker.' Da war viel zu tun.

Ich überlegte - Vielleicht ist es ja auch besser, diese Geschichte zurückzustellen, ihr Zeit zu geben - wir sollten ja die Beste Geschichte herausfiltern. 

 

"Nein, das geht nicht!" rief etwas in mir selbst.

Ich stutzte.

 

Wahrscheinlich war es jener Sturkopf, der mir seit meiner Kindheit nachgesagt wird, der da in mir laut wurde. Und ich weiß zu gut: dieser Sturkopf hat viel Kraft!

Also entschied ich mich, meine Geschichte umzubauen. Ich würde sie klären, kürzen und auf den Punkt bringen!

 

Am nächsten Tag startete ich einen zweiten Versuch: Eine andere Kleingruppe bildete sich - frischen Ohren für meine Geschichte!

Statt meine beste Geschichte zu bearbeiten, trug ich mutig und etwas müde meine geänderte Geschichte vor. Doch wieder blieb die Geschichte im unerbittlichen Nudelsieb hängen. In der Nachbesprechung war ich kurz davor, sie doch zu verwerfen. Später, nach dem Mittagessen, traf ich auf eine Erzählkollegin.

Sie hatte eine tolle Idee für meine Geschichte. Ich nahm sie auf. Was für ein Geschenk!

"Nur nicht aufgeben!" flüsterte die Stimme in mir.

 

Als ich wieder alleine war, überdachte ich alles und versuchte zu streichen, was zu viel war.

Mit einem Seufzer fasste ich einen Entschluss: Ich schickte eine sehr lieb gewonnene Hauptfigur 'zurück nach Hause'. Sie verschwand spurlos aus meiner Geschichte. Ich nahm nur zögerlich Abschied von ihr. 

 

Der Kurs nahm seinen Lauf. Dort arbeitete ich an meiner besten Geschichte weiter. 

Doch meine Gedanken waren bei der Geschichte im Nudelsieb. Im Plenum nahm ich wertvolle Impulse auf. 

Doch auch ausserhalb der Kurszeiten wollte mich die hängengebliebene Geschichte nicht loslassen. Morgens vor Kursbeginn erzählte ich sie mir selbst, mittags kritzelte ich ein neues Storyboard für sie, prüfte den Aufbau und tüftelte an den Figuren. Selbst im kurzen Nachmittagsnickerchen hörte die Geschichte nicht auf, in mir zu wirken.

 

Da half nur eins:  ein kühlendes Bad im See!

 

Ich wollte die Geschichte doch so gerne in der Premiere am 17. Juli erzählen! Ich trug sie schon Monate mit mir herum. 

Es war sozusagen eine Herzensangelegenheit. Also: weiter!

 

Am Tag darauf war die letzte Möglichkeit zu prüfen, ob meine Arbeit an der Geschichte gewirkt hatte: Ich  suchte nach KollegeInnen, die meine Geschichte noch nicht kannten, ich suchte wieder nach frischen Ohren. Würde sich jemand in einer Pause dafür Zeit nehmen?

Es war wunderbar! Denn trotz des vollen Stundenplans, sagte mir jede und jeder der Gefragten zu. So ein Glück, so viele zugewandte Kolleginnen und Kollegen zu haben! Ihr seid toll!!

 

Schließlich trafen sich vier Erzählerinnen und Erzähler mit mir. Wir zogen uns ins Foyer zurück. Und dann begann ich meine Geschichte ganz anders: 

Mit der Stimme eines Kobolds, der sich vorher nicht gezeigt hatte. Er war nur eine mögliche Nebenfigur gewesen. Nun hatte er eine Hauptrolle bekommen! 

Gespannte Gesichter. Ich baute ein neues Bild auf und entwickelte den zweiten Höhepunkt der Geschichte anders  ...

Und da merkte ich - jetzt fließt es! Ich staunte selber beim Erzählen: Ja die Geschichte fließt, ganz selbstverständlich, als wäre es nie anders gewesen, fließt sie durch das grobe unerbittliche Sieb aus kühlem, nüchternen Metall.

In der Nachbesprechung die Frage: "An einigen Stellen musst du noch arbeiten. Aber was sollte das Problem sein? Deine Geschichte ist anschlussfähig. Kann man sie denn anders erzählen?"

 

Ich atmete durch. Geschafft!

Das war nicht das einzige "happy end" des Kurses. Und es war nicht das Einzige von dem ich berichten könnte!

An alle meine Kursteilnehmer:
Liebe Grüße! Es ist eine wunderbare Zeit mit euch! Ohne Euch wäre mir diese Geschichte nie gelungen! Und wie freue mich schon auf unsere nächste Ausbildungswoche im September!

Lieber Norbert: Vielen Dank für dein altes wunderbares Nudelsieb, das so schlicht und so praktisch ist. Ich bin froh es so ausgiebig benutzt zu haben und werde das Miteinander mit ErzählkollegInnen, die ehrlich berichten, ob die Geschichte anschlussfähig ist, gewiss mein Leben lang sehr hoch schätzen! 

 

Und an alle, die in eine Münchner Aufführung im Juli kommen möchten:

Die Geschichte mit dem Kobold, die hoffentlich weiterhin durch das Metallsieb passt, erzähle ich nach der Pause.

Ich freue mich darauf!